Leidenschaft
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Die Leidenschaft kann nicht enden.

Ein Interview mit Matthias Höfflin über seine Art des Weinbaus

Frühlingsanfang am Kaiserstuhl. Die Luft ist noch etwas kühl. Es ist acht Uhr morgens, ein sonniger Tag kündigt sich an, doch über den Feldern hängt noch ein leichter Bodennebel. Matthias Höfflin war bereits im Rebberg.

Matthias, du kommst so früh am Morgen schon aus dem Weinberg. Wann gehst du morgens in die Reben?
Im Winter, wenn die Reben ruhen, spät. Im Frühjahr und Sommer treibt es mich oft sehr früh morgens in den Weinberg, um das Erwachen der Natur zu erleben und den Weinberg aufzunehmen.

Das heißt, du fühlst den Rebberg? Was kannst du sehen oder riechen, wenn du durch den Berg streifst?
Ein Rebberg ist ja etwas Lebendiges. Die Pflanzen kommunizieren untereinander, der Boden enthält jede Menge Leben. Das Zusammenspiel zwischen Boden, Bodentieren, Begrünungspflanzen, Rebstock und letztendlich auch der Menschen, die im Rebberg arbeiten, darf im Einklang stehen. Das ist Terroir für mich. Das kann man sehen, aber vor allem auch riechen und fühlen. Jeder Weinberg hat seinen eigenen Geruch. Nasse Böden mit wenig Gasaustausch riechen dumpf, trockenere, gelockerte und mit Mikroorganismen durchsetzte Böden dagegen riechen frisch.

Das Terroir wird als Qualitätsmerkmal im Weinbau immer wichtiger. Was bedeutet es konkret, wenn du sagst: Guter Wein entsteht im Weinberg?
Das ist schwer in zwei Sätzen zu erklären. Die Stoffwechselprodukte der Bodentiere im Bio-Rebberg sind die Grundnahrung der Reben. Je reichhaltiger und vielfältiger die Mikroorganismen im Rebberg wirken, um so wertvoller ist die Nahrung, die an der Rebwurzel ankommt. Sie bilden die Vielschichtigkeit, die Mineralität und die Tiefe des Weines als Grundvoraussetzung für einen langlebigen Wein.

Ein Beispiel: Habe ich durch häufigen Maschineneinsatz eine zu feine Bodenstruktur geschaffen, ergibt das dünne, extraktarme und geschmacklich flache Weine, die kein Potenzial zum Lagern haben. Wir setzen auf gut durchwurzelte, lebendig verbaute Böden mit hohem Humusanteil. Das gibt Substanz und Lagerfähigkeit. Es dauert einige Jahre, bis wir neu dazu gekommene Rebflächen auf dem hohen Niveau unserer jahrzehntelang biologisch bewirtschafteten Böden haben, aber die Ergebnisse sprechen für sich.

Du nutzt nur die natürlichen Hefen aus dem Weinberg, keine weiteren Hilfsmittel oder Zusätze. Was ist das Schwierige daran?
Alles muss stimmen: die Ernährung der Rebe, das vielfältige Bodenleben, die zeitgenaue Arbeit im Rebberg. Die Elemente fürs Gelingen sind bekannt. Die Kunst besteht darin, sie mit Fingerspitzengefühl und Sachkenntnis richtig zusammenzusetzen. Kein Jahr gleicht dem anderen, das ist das Spannende. Und da helfen mir die Morgenstunden in den Reben.

Wer im Berg alles richtig macht, muss also im Keller nicht mehr schönen?
Ja, so ist es.

Bio-Wein ist ja inzwischen seit Jahren wörtlich gesprochen in aller Munde? Was meinst du, welchen Stellenwert hat Bio-Wein für eure Kunden?
Die Kinderschuhe sind abgestreift. Neben der heute hohen Qualität ist es das Bauchgefühl, mit dem Kauf eines so erzeugten Produktes der Umwelt und uns Menschen möglichst wenig zu schaden. Geschmack ist das eine, Wohlbefinden und innere Qualität das andere.

Wir müssen aufhören zu glauben, dass billige Lebensmittel auch wirklich günstig sind. Die Zeche zahlt halt ein anderer. Oft die Menschen, die die Produkte herstellen. Aber auch die Umwelt und damit natürlich wieder wir alle oder die nächste Generation. Der Wert des Menschen sollte in der Landwirtschaft wieder dringend nach vorne. Zum Kapital eines Betriebs muss unbedingt auch die Bodenqualität als Maßstab mitberücksichtigt werden. Sofort erhalten wir ein anderes Bild von dem, was ein gesundes, nachhaltiges und landwirtschaftliches Unternehmen ausmacht.

Deshalb sind wir sehr froh über die Bereitschaft unserer Kunden, all das mitzubezahlen und ein Teil davon zu sein. Sie suchen nach Ursprünglichkeit. So wie nach dem ursprünglichen Geschmack der Karotte. Sie möchten keine Weine mehr, bei denen viel Duft den Körper des Weines ersetzt, der ihm fehlt, sondern etwas Ehrliches.

Du arbeitest mutig und unkonventionell. Gab es in den vergangenen Jahren Rückschläge?
Ja klar, wer kennt die nicht. Zum Beispiel Ernteausfälle durch Pilz- oder Schädlingsbefall, deutlich mehr Arbeitsstunden bei schlechtem Wetter, das hohe Risiko aushalten … 
Ohne ein Scheitern gibt es ja auch keine Weiterentwicklung. Wichtig ist, welche Schlüsse man zieht. Die guten, wertvollen Erfahrungen überwiegen hier eindeutig und geben mir oft auch die Kraft, Rückschläge zu verarbeiten.

Hast du nie das Gefühl, der Natur oder den natürlichen Prozessen ausgeliefert zu sein?
Das ist kein Gefühl des Ausgeliefertseins. Es ist meine Aufgabe als Winzer, mit den von Jahr zu Jahr unterschiedlichen Wetterbedingungen umzugehen.

In deiner Weinwerkstatt machst du seit ein paar Jahren auch Weine mit neuem Geschmacksbild.
Ja, weil ich die herkömmlichen fruchtintensiven Weine selbst nicht mehr trinken wollte. Wir mussten wieder lernen, wie man mit dem Potenzial in den Beeren und dem natürlichen Hefelager nach der alkoholischen Gärung arbeiten kann. Die Weinwerkstatt ist mein Experimentierfeld, hier verlasse ich gewohnte Pfade und bekomme einen Einblick in die Zukunft. 

Mich interessiert der Blick in den Mikrokosmos. Ich möchte wissen, warum das, was ich tue funktioniert oder nicht. Das überprüfen wir anhand von Labor-
analysen und mikroskopischen Aufnahmen, die sich auf unseren Etiketten wiederfinden. Am Anfang steht die Frage, wie kann ich Schwefel reduzieren und dann allein mit Oxidation und Gerbstoffen so umgehen, dass das Ergebnis meine Vorstellung von einem neuen Geschmacksbild trifft. Das probiere ich wortwörtlich aus.

Die Ergebnisse sind erstmal Unikate. Die Kunden entscheiden durch ihren Zuspruch sozusagen mit, ob ein Wein durchstartet oder nicht. Hier entstehen Weine, die hoch reaktionsfreudig sind in der Kombination mit Speisen. Sie bieten ein Feuerwerk an Aromen und sind Kraftpakete im Geschmack.

Wo siehst du die Aufgaben der Zukunft im Bio-Weinbau?
Selbstverständlich müssen wir die Pflege der Rebe noch verfeinern. Gerade die Pilzkrankheiten, die uns in den letzten Jahren die Produktion erschwert und verteuert haben, fordern industrieunabhängige und umweltschonende Lösungen aus der Natur und mit der Natur. 

Immer mehr in den Vordergrund rückt auch die soziale Verantwortung gegenüber allen unseren Mitarbeitern im Betrieb. Die Wertschätzung für Menschen und ihre Leistung halte ich nach wie vor für zu gering. Der Bio-Weinbau muss hier Verantwortung zeigen und Vorbild sein.

Bei eurer Art Wein zu machen muss alles auf den Punkt klappen. Wie hast du dein Team dafür begeistert?
Alle Mitarbeiter haben das Gefühl, für eine gute Sache zu arbeiten und bringen die Bereitschaft mit, auch mal an ihre Grenzen zu gehen. Die Begeisterung ergibt sich auch aus dem Wein selbst, wenn man direkt schmeckt, wie sich die Anstrengung lohnt. Natürlich spielt auch der Zuspruch, den wir von außen für unseren Weinstil erhalten, eine Rolle. Die Freude an Auszeichnungen teilen wir alle gemeinsam. Es ist schön, zu sehen, wenn jeder einzelne aus dem Team sein Bestes gibt und den guten Geist des Betriebs mitträgt. Arbeit ist ja für den Menschen auch eine tragende Säule im Leben.

Wie geht es weiter, gibt es Projekte in naher Zukunft?
Viele Ideen entstehen im Team und beim Tun und natürlich auch während interner Weinproben. Zurzeit sind wir mit dem Bau des neuen Weinguts beschäftigt: vorbereiten für die nächste Generation und Raum schaffen für Neues. Die Möglichkeit, die Weine noch länger im Fass ruhen zu lassen oder einfach technische Dinge zu lösen. Wegen der immer früheren und wärmeren Erntetage müssen wir die Ernte schnell einbringen. Das alles braucht mehr Platz. 

Du bist jetzt mehr als 30 Jahre im Weinbau selbständig. Wie lange kann man so etwas mit Leidenschaft machen?
Die Leidenschaft kann nicht enden. Je mehr man über ein Thema weiß, desto interessanter wird es. An das alte Wissen des Weinbaus heranzukommen, dafür brenne ich und daran will ich weiter forschen.

Matthias, vielen Dank.


Das Gespräch führte Weinfreund Marko Scharlow